Gor versus BDSM (Schriftrolle 83)
(Gor vs. BDSM von Ubar Luther)
Ist Gor nur ein Aspekt von BDSM? Wo liegen die Ähnlichkeiten und Unterschiede von Gor und BDSM? Dieses Thema ist in zahllosen Diskussionen und Foren unzählige Male diskutiert und behandelt worden. Dennoch gibt es noch immer Unklarheiten und das ist ein Grund, noch einmal zu versuchen, beides zu vergleichen und voneinander abzugrenzen. Die allgemeine Öffentlichkeit betrachtet Gor als Untergruppierung des BDSM. Man erkennt es dadurch, dass die Erwähnung von Gor in den Medien unvermeidlich Verbindungen zum BDSM herstellt. Außerdem betrachten viele Leute, die mit BDSM zu tun haben Gor als ein Teil davon und auch viele Goreaner betrachten Gor als Teil von BDSM. Man beachte bitte, dass ich aus Gründen der Verständlichkeit im Folgenden viel verallgemeinern werde. Es mag Ausnahmen von diesen Verallgemeinerungen geben, aber diese widerlegen nicht automatisch die Verallgemeinerungen generell.
Beginnen wir mit banalen Informationen über Gor. John Norman, ein Universitätsprofessor, hat 26 Romane geschrieben, in denen er die fiktive Welt Gor beschreibt und weitere sollen in der Zukunft veröffentlicht werden. Norman hat noch 5 andere Romane und 2 Sachbücher geschrieben. Eines dieser Sachbücher heißt Imaginative Sex, wurde 1974 veröffentlicht und gilt als eines der ersten im Zusammenhang mit D/S (Dominanz/Submission) jemals veröffentlichten Bücher der Moderne. 1974 gab es sehr wenige Sachbücher die D/S behandelten. The Leatherman's Bible war eines der wenigen anderen damals veröffentlichten Bücher. Da Imaginative Sex einige starke Querverbindungen zu Gor aufweist, können wir zunächst feststellen, dass es vermutlich zumindest einige Verbindungen von Gor zu D/S gibt. Aber wir müssen aufpassen, dass unsere Betrachtungen hier nicht enden.
Wir sollten auch zu Beginn einige Definitionen betrachten, die uns bei der Diskussion helfen könnten, nicht nur "BDSM" und "D/S", sondern auch, was wir meinen, wenn wir "Gor" sagen. Für jede dieser Bezeichnungen ist eine genaue Definition nicht leicht, da jeder Ausdruck eine Fülle von Aspekten anbietet. Man denke nur an die Millionen von Aspekten, die unter die Label BDSM und D/S fallen, wie Bondage, Disziplin, Sadismus, Masochismus, Dominanz, Unterwerfung, Sklaven, Gerten, Blood-Play oder Rollenspiel. Und diese Liste ist bei Weitem nicht vollständig. Und jeder Mensch, der mit BDSM und D/S zu tun hat, hat seine eigenen Vorlieben für den Bereich, wo er es ausleben möchte. Außerdem ist alles zusammen für einige nur perverser Sex. Aber für andere ist es tiefgreifender Lebensstil, der viele Bereiche ihres Lebens berührt, nicht nur den sexuellen. Vielschichtigkeit ist ein Schlüsselwort bei der Definition von BDSM und D/S.
Innerhalb der goreanischen Community ist Vielschichtigkeit ebenso der Schlüssel zur Definition von Gor. Aus Vereinfachungsgründen können wir die in der goreanischen Community aktiven Mitglieder in drei Hauptgruppen einteilen. Wir schließen damit die eher passiven Mitglieder aus, die nur die Lektüre der Bücher genießen und nicht weiter einsteigen. Unsere drei Gruppen umfassen Rollenspieler, Philosophen und Lifestyler. Man beachte, dass es auch innerhalb dieser drei Gruppen eine große Vielschichtigkeit gibt. Es sind breite Gruppen, die auch viele Widersprüche umfassen. Sie sind für eine allgemeine Diskussion nützlich, aber es sollte bewusst sein, dass die Abgrenzungen nicht immer klar sind. Menschen können ohne Probleme mehr als einer dieser Gruppen angehören.
Auf unterster Basisebene ist goreanisches Rollenspiel ein Spiel, bei dem Menschen vorgeben, auf Gor zu sein und bestimmte Rollen auszufüllen. Es ist eine Form des Zeitvertreibs, obwohl auch erzieherische Aspekte mit einfließen. Rollenspiel kann "Entführungen" beinhalten, bei denen Menschen versuchen, andere zu versklaven und "Kämpfe" wo Menschen sich bekriegen, manchmal bis zu einem virtuellen Tod. Einige Rollenspieler versuchen sich sehr eng an die Romanvorlagen zu halten und erlauben nur Handlungen, die auf der Basis der Romane plausibel erscheinen. Andere bevorzugen eine offenere Form und gleichen Vorgaben der Bücher an ihre eigenen Vorlieben an. Manchmal geraten diese beiden Lehrmeinungen in große Konflikte über ihre jeweiligen Ansichten.
Sklaverei im Rollenspiel, die eng den goreanischen Romanen folgt, kann der historischen Sklaverei, speziell der im antiken Rom praktizierten, ähneln. Sklaven in den Gor-Romanen sind schlicht Eigentum mit absolut keinerlei Rechten. Ihr Besitzer kann sie ohne Folgen töten. Nach Erdstandards könnte solch eine Sklaverei als hart und brutal betrachtet werden. Nicht alle entschließen sich jedoch, sich so eng an die Bücher anzulehnen, wenn sie im Rollenspiel Sklaverei spielen. Manche wählen eine vorsichtigere Annäherung. Aber wir müssen uns deutlich machen, dass es hierbei nur um ein Spiel geht. Es kann gut mit jedem BDSM oder D/S Rollenspiel verglichen werden. In Normans Imaginative Sex stellt er mehr als 50 sexuelle Rollenspiel-Szenarien vor, die oft Dominanz, Bondage und Sklaverei beinhalten. Ein Teil dieser Szenarien gleicht Situationen, die auf Gor vorkommen könnten.
Aber es ist auch wichtig zu erinnern, dass goreanisches Rollenspiel nicht nur Herr/Sklavin-Interaktionen zu beinhalten braucht. Rollenspiel kann viele unterschiedliche Szenarien von Geheimnissen bis hin zu Kriegsgeschichten, von Romantik bis zum Aktionabenteuer abdecken. Rollenspiel ist wie das Ausleben eines Romans, dessen potentielle Abenteuer nur durch die eigene Vorstellungskraft begrenzt sind. Es gibt einige goreanische Rollenspieler, die es vorziehen, sich hauptsächlich mit Herr/Sklavin-Interaktionen zu beschäftigen, aber das ist einfach deren eigene Entscheidung. Es ist nicht zwingend für den gesamten möglichen Spielraum von Rollenspielen.
Am anderen Ende des Spektrums haben wir die goreanische Philosophie. Sie legt die grundlegenden Prinzipien der Welt Gor fest, die in den Romanen beschrieben werden. Es gibt viele Hinweise, die andeuten, dass diese Philosophie existiert und zum großen Teil auf der antiken griechischen Philosophie und den Arbeiten von Nietzsche fußt. Goreanische Philosophie kann am besten zusammengefasst werden durch das Prinzip "Im Einklang mit der Natur leben". Im Grunde leiten sich alle anderen goreanischen philosophischen Prinzipien von dieser ersten These ab. Ein vollständiges Verstehen der goreanischen Philosophie erfordert vom Leser nicht nur die Lektüre aller Romane, sondern darüber hinaus noch die Lektüre weiterer unabhängiger Schriften, um einige komplexe philosophische Konzepte besser zu verstehen.
Interessanterweise ist Sklaverei kein Bestandteil der goreanischen Philosophie. Tatsächlich ist sie für die Philosophie völlig unbedeutend. Sklaverei ist eine soziale und kulturelle Institution und kein philosophisches Prinzip. Nun, ein abgeleitetes Prinzip der goreanischen Philosophie ist jedoch, dass im Allgemeinen Männer dominant und Frauen submissiv sind. Es wird einfach als biologische Wahrheit betrachtet, ausgehend von Genetik und der Geschichte der Evolution. Man bedenke dabei, dass wir hier nicht Absolutismen diskutieren, nur Verallgemeinerungen. Aber dieses Prinzip besagt nicht, dass Frauen Sklavinnen sein sollten oder müssten. Es gibt bedeutende Unterschiede zwischen Submissivität und Sklaverei.
Wir sollten feststellen, dass diese Gruppe die kleinste aller drei Gruppen von Goreanern ist, die wir erwähnt haben. Über den Grund, warum es so ist, können wir nur mutmaßen. Ein Teil der Begründung könnte darin liegen, dass die meisten Menschen bei dem Begriff "Philosophie" mehr an geistige Auseinandersetzung denken, als an einen möglichen Lebensstil. Sie denken an muffige alte Akademiker, die sich über esoterische Standpunkte und das Wesen des Universums streiten. Dennoch, wenn wir ins antike Griechenland oder Rom zurückgehen, werden wir sehen, dass für die Menschen damals Philosophie ein integraler Bestandteil eines bestimmten Lebensstils war. Ein Philosoph lebte seine Philosophie und redete nicht nur darüber. Und da Gor in weiten Teilen auf diesen alten Quellen beruht, erscheint es angemessen, mit seiner Philosophie ebenso umzugehen.
Jetzt kommen wir zur letzten Gruppe, den goreanischen Lifestylern. Dies ist der Bereich, der am Meisten mit der Welt von BDSM und D/S verglichen wird. Im Allgemeinen ist ein goreanischer Lifestyler jemand, der der goreanischen Philosophie folgt, der ABER AUCH einige der gesellschaftlichen Aspekte von Gor zu leben versucht. Dieser Versuch des Nachlebens ist ein wichtiger Teil ihres Lebensstils. Im Grunde nimmt ein Lifestyler einige Bereiche die andere im Rollenspiel ausfüllen, und versucht, sie in seinem Leben real werden zu lassen. Es sollte hier kurz erwähnt werden, dass es eine Reihe von Lifestylern gibt, die sich durch Rollenspieler beleidigt fühlen. Sie glauben, dass es ihre Glaubwürdigkeit beeinträchtigt und auch, dass es beleidigend sei, ein Spiel aus dem zu machen, was sie leben. Aber durch das Nachleben fiktiver Teile der fiktiven Welt Gor, kann man argumentieren, dass Lifestyler eigentlich eine Art Rollenspiel machen.
Einige der am häufigsten durch Lifestyler nachgelebten sozialen Einrichtungen sind der Heimstein, das Kasten-System und die Sklaverei. Es gibt allerdings keinen Standard welche Einrichtung durch einen Lifestyler gelebt werden sollte. Man kann einen Heimstein wählen, braucht aber keine Kaste. Man kann eine Sklavin haben, aber keinen Heimstein. Es ist alles eine Sache der persönlichen Vorlieben, obwohl die Sklaverei wohl die am häufigsten nachgelebte Einrichtung ist. Von allen Eigenarten Gors zieht noch immer die Sklaverei die meisten Menschen an. Dennoch stellt diese Popularität die Gesamtheit von Gor falsch dar. Man kann goreanischer Lifestyler sein, ohne eine Sklavin zu besitzen oder sogar ohne die Sklaverei zu unterstützen.
Wenn diese goreanischen Einrichtungen nachgelebt werden, modifizieren die Lifestyler sie für die Gegebenheiten der Erde und ihre eigenen Vorlieben. Sklaverei, obwohl auf Gor legal, ist auf der Erde verboten, deshalb muss es natürlich Unterschiede geben. Vor allem ist die Sklaverei der Lifestyler sehr viel weniger hart, als es auf Gor der Fall wäre. Es gibt keine erzwungene Sklaverei bei Lifestylern. Sie wird oft als "konsensuelle Sklaverei" bezeichnet, da die Sklavin ihrer Unterwerfung zustimmt. Sie hat auch die Macht, ihre Sklaverei zu jedem Zeitpunkt zu beenden. Solche Echtzeit-Sklaverei (RT = Real Time) ähnelt am meisten dem, was im BDSM und D/S als TPE, Total Power Exchange bezeichnet wird, obwohl ich den weniger gebräuchlichen Ausdruck (Beziehungs-)"Interne Sklaverei" vorziehe, da ich glaube, dass er die Art der Beziehung exakter beschreibt. In weiten grundlegenden Bereichen ist diese RT-Sklaverei eine extreme Form von Unterwürfigkeit. Hier gibt es viele Ähnlichkeiten zwischen BDSM, D/S und dieser RT-Sklaverei, obwohl es auch wichtige Unterschiede gibt.
Untersuchen wir diese Ähnlichkeiten und Unterschiede. Goreanische Sklaverei kann, wie auch BDSM, Bondage einschließen, Halsbänder, Ketten, Armfesseln, Seile, Knoten und vieles mehr. Goreanische Sklaverei und BDSM können das Zufügen von Schmerz einer sub oder einer Sklavin gegenüber beinhalten. Im Allgemeinen werden das Goreaner nur als Strafe ausführen und ihre Sklavinnen werden den Schmerz nicht genießen. Es gibt dennoch Ausnahmen. Im BDSM ist es sehr viel verbreiteter für die sub oder Sklavin den Erhalt von Schmerz zu genießen. Beide, Gor und BDSM umfassen Dominanz und Unterwerfung, obwohl es auf Gor üblicherweise die Männer sind, die dominant sind. Im BDSM sind viele Frauen dominant, weit mehr, als es auf Gor wären. Wir könnten den Unterschied zwischen sub und Sklavin diskutieren, aber er ist für diese Diskussion irrelevant.
Am wichtigsten bleibt anzumerken, dass RT goreanische Sklaverei nur ein Teilaspekt eines viel größeren Bereiches ist. Wenn man glaubt, dass Gor nur Sklaverei beinhaltet, verpasst man eine Welt voller anderer goreanischer Ideen und Konzepte. Goreanische Philosophie berührt die Metaphysik, die Erkenntnistheorie, Ethik, Politik-Philosophie und vieles mehr. Sie bezieht ihre Inspiration aus Quellen wie Platos The Republic (in Deutschland als Politeia bekannt, Anm. Fiasco), den Meditationen des Marcus Aurelius und Nietzsches Jenseits von Gut und Böse. Sie handelt von mehr als nur persönlichen Beziehungen, umfasst ebenso den Umgang des einzelnen Mannes mit der Regierung, der Gesellschaft und der Natur. In dieser Hinsicht umfasst Gor unendlich viel mehr als BDSM oder D/S. BDSM und D/S sind meist eine Angelegenheit persönlicher Beziehungen, der Interaktion zwischen zwei Menschen.
Wer ist also verantwortlich für den Irrglauben, dass Gor überwiegend aus Sklaverei besteht? Letztendlich fällt viel von dieser Verantwortung auf die goreanische Community zurück. Sie fällt zurück auf die Einzelnen, die nach Gor nur wegen der Sklaverei kommen. Sie fällt zurück auf Menschen, die Websites erstellen, deren Inhalt überwiegend nur von Sklaverei handelt. Sie fällt auf die Einzelnen, die in den Foren endlos über Sklaverei diskutieren und die anderen Themen vernachlässigen. Und da diese Einzelnen Online die Mehrheit bilden, wird die Botschaft verfälscht. Deshalb erhalten Menschen, die wenig von Gor wissen ein verfälschtes Bild, indem Gor überwiegend Sklaverei betrifft, obwohl es so viel anderes gibt.
Glücklicherweise gibt es einige, die gegen dieses falsche Bild kämpfen. Sie helfen dabei, die Realität von Gor deutlich zu machen. Sie schreiben Forenbeiträge, die viele andere Aspekte von Gor beinhalten. Sie bauen Websites, die die Millionen von Themen berühren, die die Sklaverei in eine unbedeutendere Rolle drängen. Es ist keine leichte Aufgabe, aber einige sind bereit, diese Herausforderung anzunehmen. Die ultimative Aufgabe ist es, zu zeigen, dass Gor weitaus mehr ist, als Sklaverei. Gor ist nicht bloß eine Unterkategorie von BDSM oder D/S. Obwohl es Gemeinsamkeiten zwischen BDSM, D/S und goreanischer einvernehmlicher RT-Sklaverei gibt, werden diese von den Unterschieden bei weitem überlagert. Gor umfasst ein riesiges Gebiet von zusätzlichen Themen, die nichts mit BDSM oder D/S zu tun haben.
(Übersetzung von Phil)